4. November 2020
Denkmalpflege und Brandschutz – nach Vorschrift?
Autoren: Heiko Dobler, Bauberater Denkmalpflege, Kantonale Denkmalpflege, Kanton Aargau und
Lorenz Juen, Teamleiter Brandschutzingenieure, Aargauische Gebäudeversicherung
Bei Sanierung oder Umbau von Baudenkmälern entstehen nicht selten Differenzen zwischen den denkmalpflegerischen Anliegen und dem Brandschutz. Dieses Spannungsfeld wird an der aktuellen Sanierung des Verenahof-Gevierts in Baden beleuchtet.
Geschichte des Verenahof-Gevierts
Die Liegenschaften Hotel Verenahof, Hotel Ochsen und Badhotel Bären in Baden bilden zusammen einen Baukomplex. Dieser wird Verenahof-Geviert genannt. Die drei historischen Hotelbauten sind durch ihre reiche Baugeschichte charakterisiert. Sie bezeugen unterschiedliche historische und baukünstlerische Epochen, die teils bis ins 13. oder 14. Jahrhundert zurückreichen. Das Verenahof-Geviert bildet heute gewissermassen das Herz der "Grossen Bäder" in Baden. Bereits in der römischen Zeit wurde es als antiker Thermalkurort "Aquae Helveticae" genutzt. Bis heute sind Spuren im Untergrund erhalten geblieben. Aufgrund seiner kulturgeschichtlich, städtebaulich und baukünstlerisch herausragenden Bedeutung wurde das Verenahof-Geviert integral unter kantonalen Denkmalschutz gestellt.
In der Vergangenheit wurden die Liegenschaften als Hotels genutzt (Beherbergungsbetrieb B). Nach jahrelangem Leerstand und fortschreitendem Zerfall wird mit den aktuellen Umbaumassnahmen das frühere Hotel-Geviert zu einer Klinik für Prävention und Rehabilitation umgebaut. Es erweist sich dabei als grosse Herausforderung, eine nach heutigen Massstäben und aktuellen Normen gestaltete Nutzung in den historischen Räumlichkeiten unterzubringen.
Normen versus Denkmalpflege?
Jede Norm regelt den Normalfall. Denkmäler hingegen sind materielle Zeugnisse der Geschichte. Sie sollen möglichst authentisch und ungeschmälert, das heisst mit ihrer Substanz und Materialität der Nachwelt überliefert werden. Entstanden sind sie nicht nach heutigen Normen, sondern nach damals gültigen Handwerksregeln und Produktionsweisen. Es liegt auf der Hand, dass dies zu Zielkonflikten führen kann. Sowohl die Einhaltung einer Norm, als auch der angestrebte Erhalt eines Denkmals sind öffentliche Interessen mit entsprechenden Rechtsgrundlagen. In solchen Einzelfällen ist das öffentliche Interesse an der ungeschmälerten Erhaltung des Denkmals und dasjenige einer nachträglichen Anpassung an die Brandschutznorm abzuwägen. Setzen sich die jeweiligen Fachstellen rechtzeitig mit den Planenden zusammen und suchen im interdisziplinären Austausch nach Lösungen, zeigt sich oftmals ein für alle tragbarer Konsens. Weder die Umsetzung des Brandschutzes nach Kochrezept noch die "Heiligsprechung" des Denkmals mag in solchen Fällen ein gangbarer Weg sein.
Die geplante Sanierung des Verenahof-Gevierts ist im Umfang und in der Umnutzung wesentlich. Die Brandschutznorm (Art. 2 Abs. 2) verlangt hier eine verhältnismässige Anpassung an die Brandschutzvorschriften. So steht, im engen Austausch zwischen dem Qualitätssicherheits-Verantwortlichen Brandschutz, dem Architekten, den beteiligten Unternehmen, der Aargauischen Gebäudeversicherung und der Denkmalpflege, eine wenn auch abweichende, so doch gleichwertige Umsetzung der Brandschutznorm im Fokus, ohne dass dadurch wesentliche Einbussen am Denkmal in Kauf genommen werden müssen.
Die zukünftige Nutzung als Rehaklinik (Beherbergungsbetrieb A) fordert eine Vielzahl an unterschiedlichen brandschutztechnischen Anforderungen. Der bauliche Brandschutz verlangt im Bereich der Patientenzimmer eine kleinteilige Brandabschnittsbildung. Die Nutzung als Beherbergungsbetrieb A erfordert eine Brandmeldeanlage als Vollüberwachung sowie der Einbau leistungsfähiger Rauch- und Wärmeabzugsanlagen. Ebenso wird für Bettengeschosse eine horizontale Evakuierung (Aufenthaltskonzept) verlangt. Aufgrund der vorhandenen Innenhöfe wird ein individuelles und massgeschneidertes Evakuationskonzept benötigt. Der organisatorische Brandschutz schlussendlich stellt überdurchschnittlich hohe Ansprüche an das Betriebspersonal.
Badhotel Ochsen
Das Badhotel Ochsen birgt in seinem Untergeschoss ein mittelalterliches Badehaus. In den oberen Geschossen weist es eine vollständig überlieferte Bausubstanz aus unterschiedlichen Jahrhunderten auf. Als Besonderheit zeigt sich im ersten Obergeschoss das sogenannte Hermann-Hesse-Zimmer mit barocker Ausstattung. Hermann Hesse hat die historischen Badehotels mehrfach besucht. Mit seinem Werk "Der Kurgast" haben seine Erfahrungen in den Bädern Einzug in der Weltliteratur gefunden. Die bauliche Eingriffstiefe wird aus denkmalpflegerischen Gründen auf ein Minimum beschränkt. Damit werden die Raumstruktur und die historischen Oberflächen wie Wand-und Deckentäfer sowie Stuckdecken und historische Böden geschont.
Brandschutztechnisch ergeben sich damit besondere Herausforderungen. Die erhaltenswerten Oberflächen lassen eine beidseitige Ertüchtigung des vorhandenen Konstruktionsaufbaus vielfach nicht zu. Alternativ zu den anerkannten Konstruktionen gilt es nun, Gleichwertiges zu planen und umzusetzen. Dabei stellen die vielen Anschlussdetails an die unebenen Innen- und Aussenwände eine grosse Herausforderung dar. Auch stehen die brandabschnittbildenden Wände vielfach nicht übereinander. Die Wandvertäfelungen im vertikalen Fluchtweg stellen eine weitere Differenz zum geltenden Recht dar. Der prozentuale Anteil der brennbaren Wandvertäfelung liegt leicht über dem zulässigen Flächenanteil. Hier geht es darum, kritische Szenarien zu benennen und schutzzielorientiert abweichende Massnahmen festzulegen.
Bezogen auf den Fluchtweg werden schlussendlich folgende Massnahmen umgesetzt: Sämtliche angrenzenden historischen Türen inklusive Verglasungen werden auf 30 Minuten Feuerwiderstand (EI 30) ertüchtigt. Im Bereich der Holzvertäfelungen werden keine elektrischen Installationen geführt. Es wird eine über die Mindestanforderungen hinausgehende maschinelle Rauch- und Wärmeabzugsanlage installiert. Und als organisatorische Brandschutzmassnahme hält das Konzept unter anderem fest, dass Brandaktivierungen und Brandlasten stark begrenzt sind.
Elefantensaal und Patientenzimmer mit Atrien
Der grosse Speisesaal im Verenahof liegt im mächtigen nördlichen Gebäudetrakt von 1872. Mit dem Saal avancierte das Hotel Verenahof zeitweilig zum architektonisch vornehmsten Haus in den Grossen Bädern. Erschlossen wird der Saal über ein glasüberdachtes mehrgeschossiges Atrium mit marmorierten Säulen und kassettierten Holzbrüstungen. Für das damalige gesellschaftliche Leben weist der zentrale, reich gegliederte und bemalte Speisesaal eine mächtig dimensionierte Stuckdecke auf. Von der Decke blicken, als Besonderheit, Elefantenköpfe auf die Gäste hinunter, die namensgebend für den Saal waren. Die ursprüngliche architektonische Gliederung des Saals blieb über dessen gesamte Nutzungsdauer unverändert. In den 1940er Jahren wurde der Saal weiss getüncht und konnte damit die originale reiche Bemalung an Wand und Decke bewahren. Im Rahmen der aktuellen Restaurierung wird die ursprüngliche Bemalung wieder zu Tage treten. Der Speisesaal gilt als herausragendes Beispiel eines für die gesellschaftliche Oberschicht bestimmten Raumes aus dem viktorianischen Zeitalter. Ein besonders sorgsamer Umgang mit den historischen Oberflächen ist aus denkmalpflegerischer Sicht angezeigt.
Auch der Elefantensaal mit den angrenzenden Patientenzimmern stellt die Planenden vor die Herausforderung, das Denkmal zu erhalten und gleichzeitig der Brandschutznorm gerecht zu werden. Der Fluchtweg aus dem Elefantensaal und den Patientenzimmern verläuft durch die Atrien. Aufgrund der Geometrie der beiden Atrien kann der Nachweis einer raucharmen Schicht in den Obergeschossen nicht erbracht werden. Gleichzeitig ist es aus denkmalpflegerischer Sicht unmöglich, die Atrien von den horizontalen Fluchtwegen als Brandabschnitt zu trennen. Der Schwerpunkt liegt also auf der Frage, in welchem Umfang über die angrenzenden Atrien geflüchtet werden kann – im Wissen, dass dieser horizontale Fluchtweg bis zu einem gewissen Grad verraucht sein wird. Aufgrund dieser sehr anspruchsvollen Ausgangslage werden verschiedene Lösungsvarianten mit teilweise sehr unterschiedlichen kompensatorischen Massnahmen erarbeitet.
Die Bauherrschaft hat sich letztlich für ein bauliches Konzept entschieden. Es enthält einen zweiten Fluchtweg. Sämtliche Brandschutztüren rund um die Atrien werden in der Qualität EI 30 – CS (rauchdicht) verbaut. Zur Sicherstellung der Alarmierung und Kommunikation werden die Patientenzimmer mit einer Sprachalarmierungsanlage ausgerüstet. In den Atrien wird eine Begrenzung der Brandlast vorgesehen. Ausserdem werden beide Atrien mit leistungsfähigen maschinellen Rauch- und Wärmeabzugsanlagen ausgestattet. Als organisatorische Massnahme wird der Sicherheitsbeauftragte Brandschutz ein eigens auf die bauliche Situation abgestimmtes Evakuationskonzept erstellen. Das Ineinandergreifen sämtlicher Massnahmen wird der Sicherheitsbeauftragte an periodischen Übungen mit dem Personal überprüfen.
Fazit
Die denkmalpflegerischen Anliegen und der Brandschutz erfordern teils unterschiedliche Massnahmen. Das kann zu Zielkonflikten führen. Wenn historische Bedeutung und überlieferte Substanz einer Baute eine Standardlösung nach Brandschutznorm verhindern, sind professionelle Planende und kreative Ideen gefragt. Im gegenseitigen Dialog können die zentralsten Anliegen von Brandschutz und Denkmalpflege gleichwohl unter einen Hut gebracht werden. Letztlich ist ein funktionierendes Brandschutzkonzept mit Augenmass, welches Sicherheit für Personen und historische Bausubstanz bietet, von allseitigem Interesse.
Der äusserst komplexe und anforderungsreiche Umbau des Verenahof-Gevierts in Baden zeigt, dass in vielen Bereichen die Anliegen von Brandschutz und Personensicherheit, sowie der Denkmalpflege, gleichwertig erfüllt werden können. Die enge Zusammenarbeit mit allen Beteiligten bereits in der Konzeptphase brachten gute tragfähige Lösungen zustande, die die Schutzziele der Brandschutznorm durch gleichwertige Lösungen erreichen.
Weitere Informationen zur Neugestaltung des Verenahof-Gevierts in Baden
Organisation:
- Eigentümerin und Bauherrin: Verenahof AG, Baden
- Investorin: Stiftung Gesundheitsförderung Bad Zurzach + Baden, Bad Zurzach
- Architekt: Villa Nova Architekten AG, Basel
Ab sofort werden öffentliche Führungen durch die Baustelle angeboten. Melden Sie sich an via projekt.baederbaden.ch/aktuell/
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