17. August 2022

Oberflächenabfluss und die neue Bestimmung § 36c BauV "Schutz vor Hochwasser"

Autorin: Eva Kämpf, Fachspezialistin Weiterbildung Prävention, Aargauische Gebäudeversicherung

 

Das Baugesetz fordert seit jeher den Schutz vor Naturgefahren (§ 52 Abs. 1 BauG): "Alle Bauten und Anlagen müssen … genügend sicher vor … Hochwasser und anderen Naturgefahren sein …". Am 1. November 2021 trat überdies die Bestimmung "Schutz vor Hochwasser" in der Bauverordnung in Kraft (§ 36c BauV). Die neue Bestimmung stützt sich auf die Kompetenz des Regierungsrats ab, die Anforderungen an Bauten in Bezug auf die Sicherheit vor Naturgefahren zu regeln (§ 52 Abs. 3 BauG). Wir zeigen Ihnen auf, was diese neue Bestimmung für die Praxis bedeutet.

Wortlaut der neuen Bestimmung

Die neue Bestimmung ist unter dem Kapitel 5bis Anforderungen an die Beschaffenheit von Bauten und Anlagen (§ 52 BauG) aufgeführt:

§ 36c               Schutz vor Hochwasser

1 Für Bauten und Anlagen in durch Hochwasser oder Oberflächenabfluss gefährdetem Gebiet ist nachzuweisen, dass angemessene Schutzmassnahmen getroffen sowie Abflusswege und -höhen des Wassers nicht so beeinflusst werden, dass sich für Dritte nachteilige Auswirkungen ergeben.

2 Die Schutzmassnahmen sind mindestens auf ein 100-jährliches Ereignis auszurichten.

Einführung der neuen Bestimmung

Die Rechtsabteilung des Departements Bau, Verkehr und Umwelt Kanton Aargau verfasste im Vorfeld ein Dokument zur Änderung der Bauverordnung vom 25. Mai 2011: Erläuterungen zur Änderung BauV vom 25. August 2021

Zusätzlich zum Hochwasser wird neu definiert, dass der Gefährdung durch Oberflächenabfluss angemessen Rechnung zu tragen ist. Bei einem Baugesuch ist demnach abzuklären, ob es für die Parzelle Hinweise auf eine Überschwemmungsgefährdung durch bekannte Schäden oder Erfahrungen mit Oberflächenabfluss bei Starkregen gibt. Oberflächenabfluss muss nur berücksichtigt werden, wenn dazu entsprechende Dokumentationen bereits bestehen. Die Bauherrschaft soll nicht grundsätzlich verpflichtet werden, solche Dokumentationen (durch ein Gutachten) allein auf Basis der Gefährdungskarte Oberflächenabfluss selber erstellen zu lassen.

Bedeutung für die Praxis

Die neue Bestimmung verdeutlicht, dass die Gefährdung durch Oberflächenabfluss im Baubewilligungsverfahren beurteilt werden muss.

Eine der Grundlagen für diese Beurteilung können Hinweise auf eine "bekannte Gefährdung" sein. Diese ergeben sich zum Beispiel aus vergangenen Überschwemmungen, Erfahrungen von Ortskundigen oder den Schadenübersichten der Aargauischen Gebäudeversicherung (AGV).

Eine weitere Grundlage kann die Gefährdungskarte Oberflächenabfluss sein. Diese wurde vom Bundesamt für Umwelt als fachtechnische Grundlage publiziert und hat hinweisenden Charakter. Im Kanton Aargau ist sie derzeit baurechtlich nicht verbindlich. Daran ändert auch § 36c BauV nichts.

Ein Gefahrenhinweis auf der Gefährdungskarte Oberflächenabfluss allein gilt nicht als "bekannte Gefährdung". Die Karte zeigt nur die potenziell durch Oberflächenabfluss gefährdeten Gebiete auf. Sie gibt also einen Hinweis auf eine mögliche Gefährdung. Erst in Verbindung mit einer "bekannten Gefährdung" wie zum Beispiel einem vergangenen Überschwemmungsereignis muss die Behörde einen Hochwasserschutznachweis verlangen.

Hinweise für die Praxis

  • Grundsätzlich ist die Baubewilligungsbehörde verpflichtet, den gesamten Sachverhalt von Amtes wegen abzuklären. Zu dieser Sachverhaltsfeststellung gehört auch die Abklärung, ob Hinweise auf eine Gefährdung vorliegen (§ 17 VRPG).
  • Haben Sie als Baubewilligungsbehörde Kenntnis über eine bei Ortskundigen "bekannte Gefährdung" und lassen das Baugesuch durch die AGV beurteilen, dann legen Sie bitte geeignete Informationen über den Sachverhalt bei. Die AGV kennt nicht alle lokalen Gegebenheiten und kann auch aus ihren Schadenerfahrungen nicht überall die tatsächliche Gefährdung herleiten.
  • Die AGV empfiehlt den Behörden im Rahmen ihrer Sorgfaltspflicht grundsätzlich, Bauherrschaft und Planende frühzeitig auf eine potenzielle Gefährdung gemäss Gefährdungskarte Oberflächenabfluss hinzuweisen. Die Bauherrschaft hat so die Möglichkeit, weitere Abklärungen zu veranlassen und Schutzmassnahmen freiwillig umzusetzen. Denn nach einem Überschwemmungsschaden wird die AGV unter Umständen geeignete Schutzmassnahmen verlangen. Nachträgliche Massnahmen sind in der Regel teuer und nur schwer ins Gesamtbild einzufügen.
  • Die AGV-Dokumentation von Gebäuden mit Überschwemmungsschäden ist auf der Gefährdungsübersicht der AGV online unter www.agv-ag.ch/gk in einem gesicherten Bereich verfügbar. Mitarbeitende von Bewilligungsbehörden haben im Rahmen ihres gesetzlichen Auftrages die Möglichkeit, sich für diesen geschützten Bereich mittels Bürgerkonto anzumelden. Zur Freischaltung des Bürgerkontos für diesen Dienst bitte E-Mail mit der Konto-ID senden an: praevention@agv-ag.ch
    Unser Merkblatt "AGV-WebGIS", in welchem Sie alle Infos zu Abfragen, Registrierung und Anmeldung finden, können Sie ebenfalls unter obiger E-Mail anfordern.

 

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